"Es ist mir eine Ehre, Sie zu befoerdern... Meine Herren!"
rief er sogleich mit erhobenem Arm und tat, als sei das Geschaeft im flottesten Gange, obgleich niemand mehr da war, der nach Abfertigung verlangt haette. Aschenbach kehrte auf das Verdeck zurueck.
Einen Arm auf die Bruestung gelehnt, betrachtete er das muessige Volk, das, der Abfahrt des Schiffes beizuwohnen, am Quai lungerte, und die Passagiere an Bord. Diejenigen der zweiten Klasse kauerten, Maenner und Weiber, auf dem Vorderdeck, indem sie Kisten und Buendel als Sitze benutzten. Eine Gruppe junger Leute bildete die Reisegesellschaft des ersten Verdecks, Polenser Handelsgehuelfen, wie es schien, die sich in angeregter Laune zu einem Ausflug nach Italien vereinigt hatten. Sie machten nicht wenig Aufhebens von sich und ihrem Unternehmen, schwatzten, lachten, genossen selbstgefaellig das eigene Gebaerdenspiel und riefen den Kameraden, die, Portefeuilles unterm Arm, in Geschaeften die Hafenstrasse entlang gingen und den Feiernden mit dem Stoeckchen drohten, ueber das Gelaender gebeugt, zungengelaeufige Spottreden nach.
Einer, in hellgelbem, uebermodisch geschnittenem Sommeranzug, roter Krawatte und kuehn aufgebogenem Panama, tat sich mit kraehender Stimme an Aufgeraeumtheit vor allen andern hervor. Kaum aber hatte Aschenbach ihn genauer ins Auge gefasst, als er mit einer Art von Entsetzen
erkannte, dass der Juengling falsch war. Er war alt, man konnte nicht zweifeln. Runzeln umgaben ihm Augen und Mund. Das matte Karmesin der Wangen war Schminke, das braune Haar unter dem farbig umwundenen Strohhut Peruecke, sein Hals verfallen und sehnig, sein aufgesetztes Schnurrbaertchen und die Fliege am Kinn gefaerbt, sein gelbes und vollzaehliges Gebiss, das er lachend zeigte, ein billiger Ersatz, und seine Haende, mit Siegelringen an beiden Zeigefingern, waren die eines Greises. Schauerlich angemutet sah Aschenbach ihm und seiner Gemeinschaft mit den Freunden zu. Wussten, bemerkten sie nicht, dass er alt war, dass er zu Unrecht ihre stutzerhafte und bunte Kleidung trug, zu Unrecht einen der Ihren spielte? Selbstverstaendlich und gewohnheitsmaessig, wie es schien, duldeten sie ihn in ihrer Mitte, behandelten ihn als ihresgleichen, erwiderten ohne Abscheu seine neckischen Rippenstoesse. Wie ging das zu? Aschenbach bedeckte seine Stirn mit der Hand und schloss die Augen, die heiss waren, da er zu wenig geschlafen hatte. Ihm war, als lasse nicht alles sich ganz gewoehnlich an, als beginne eine traeumerische Entfremdung, eine Entstellung der Welt ins Sonderbare um sich zu greifen, der vielleicht Einhalt zu tun waere, wenn er sein Gesicht ein wenig verdunkelte und aufs neue um sich schaute. In diesem Augenblick jedoch beruehrte ihn das Gefuehl des Schwimmens, und mit unvernuenftigem Erschrecken aufsehend, gewahrte er, dass der schwere und duestere Koerper des Schiffes sich langsam vom gemauerten Ufer loeste. Zollweise, unter dem Vorwaerts-und Rueckwaertsarbeiten der Maschine, verbreitete sich der Streifen schmutzig schillernden Wassers zwischen Quai und Schiffswand, und nach schwerfaelligen Manoevern kehrte der Dampfer seinen Bugspriet dem offenen Meere zu. Aschenbach ging nach der Steuerbordseite hinueber, wo der Bucklige ihm einen Liegestuhl aufgeschlagen hatte und ein Steward in fleckigem Frack nach seinen Befehlen fragte.
Der Himmel war grau, der Wind feucht; Hafen und Inseln waren zurueckgeblieben, und rasch verlor sich aus dem dunstigen Gesichtskreise alles Land. Flocken von Kohlenstaub gingen, gedunsen von Naesse, auf das gewaschene Deck nieder, das nicht trocknen wollte.
Schon nach einer Stunde spannte man ein Segeldach aus, da es zu regnen begann.
In seinen Mantel geschlossen, ein Buch im Schosse, ruhte der Reisende, und die Stunden verrannen ihm unversehens. Es hatte zu regnen aufgehoert; man entfernte das leinene Dach. Der Horizont war vollkommen. Unter der breiten Kuppel des Himmels dehnte sich rings die ungeheure Scheibe des oeden Meeres; aber im leeren, ungegliederten Raume fehlt unserem Sinn auch das Mass der Zeit, und wir daemmern im Ungemessenen. Schattenhaft sonderbare Gestalten, der greise Geck, der Ziegenbart aus dem Schiffsinnern, gingen mit unbestimmten Gebaerden, mit verwirrten Traumworten durch den Geist des Ruhenden, und er schlief ein.
Um Mittag noetigte man ihn hinab, damit er in dem korridorartigen Speisesaal, auf den die Tueren der Schlafkojen muendeten, zu Haeupten eines langen Tisches, an dessen unterem Ende die Handelsgehuelfen,
einschliesslich des Alten, seit zehn Uhr mit dem munteren Kapitaen pokulierten, die bestellte Mahlzeit naehme. Sie war armselig, und er beendete sie rasch. Es trieb ihn ins Freie, nach dem Himmel zu sehen: ob er denn nicht ueber Venedig sich erhellen wollte.